No You Couldn't
Der Ausstellungstitel «No you couldn’t» wird zum Programm erklärt und die Kunstwerke stellen die Beweise dar. Die Debatte «I could do that» / «No you couldn’t» wird für einmal transparent, direkt und öffentlich gemacht.
Thoughts
Thoughts
Noch bevor aber die Schwelle zum Ausstellungsraum übertreten wird, liefert ein Blick hin zum alten Berner Münster einen unerwarteten Denkanstoss: «Machs na» steht es in luftiger Höhe am nordöstlichen Pfeiler vis à vis geschrieben. Fast könnte man meinen, dass diese Inschrift (als historische Konzept-Kunst) zum Programm der Ausstellung gehört, liefert sie doch eine brauchbare, geradezu treffende Antwort auf den Satz «I could do that». Das Thema scheint in dieser Ecke von Bern Tradition zu haben. Die stolzen Worte eines Berner Steinmetz (vermutlich Erhart Küng) huldigen dem alten Sprichwort «Kunst kommt vom Können» und sollen hier vorerst einmal Anlass dazu geben, ein voreiliges «I could do that» zur Frage «Could I do that?» umzuformulieren.
Mit dem Schritt in die Galerie, machen wir einen gewaltigen Sprung in die Gegenwart der Kunstgeschichte, doch «Machs na» bleibt in Stein gemeisselt. Die Worte scheinen im Kontext zeitgenössischer Kunst sogar an Bedeutung hinzugewonnen zu haben, so dass sie heute mehr mit einschliessen als die blosse handwerkliche Fertigkeit. Die gängige Formel «Moderne Kunst = I could do that + yeah, but you didn’t» verweist auf diesen «Mehrwert» und hebt die Idee, in der zeitgenössischen Kunst gerne auch Konzept genannt, hinter dem sichtbaren Objekt als gleichberechtigt hervor. Was zeitgenössische Kunst (sei es Malerei, Zeichnung, Skulptur oder Installation) mit ausmacht, sie bisweilen gar zu dominieren scheint, ist also ein immaterieller und damit unsichtbarer Teil, der dem ersten Blick des Betrachters unweigerlich entgeht.
«Kunstwerke haben die Kraft eines Textes, sofern man sie zu lesen versteht» (Arthur C. Danto). Um zu Lesen wird vom Betrachter erwartet eine gewisse Leistung zu erbringen, sich Zeit nehmen und vor dem Werk aktiv zu sein. Anstatt sich von den leicht konsumierbaren Alltagsbildern berieseln zu lassen, soll er sich informieren, eigene Gedanken entwickeln und nicht demütig verharren und «warten bis das Kunstwerk selbst zu ihm spricht» (Arthur Schoppenhauer). Nur so kann überprüft werden, ob sich ein «I could do that» oder doch das «No you couldn’t» als haltbar erweist.
Gezeigte Werke:
Protect From All elements nr. 7
Athene Galiciadis
Öl auf Leinwand
Wie viele feinste Schichten Ölfarbe hat Athene appliziert, um eine solche Farbtiefe zu erreichen? Steht es mit ihrem Œuvre in einem grösseren thematischen Zusammenhang? Zitiert sie die Konstruktivsten, die russische Avantgarde oder ist sie nur von einem spontanen Gestus geprägt, der sich vom Bewusstsein einer künstlerischen Idee emanzipiert hat?
Lazy Bird
Guillaume Pilet
Salzteig, Pressspanholz gebeizt, Beton
Guillaume zitiert mit seiner Skulptur «Lazy Bird» den «Bird in the Space» vom rumänischen Bildhauer Constantin Brâncusi. Vereinfachung sei nicht das Ziel der Kunst, so der Bildhauer, doch ein Weg, um an das Wahre zu gelangen, welches nicht die Hülle, sondern das Verborgend darstellt. Guillaume zitiert, zeigt und würdigt eine weitere überarbeitete Wahrheit von Brâncusi mit «Lazy Bird».
Ohne Titel
Charlotte Herzig
Gouache auf Papier
Hättest du die Courage so frei und grosszügig zu malen, ohne dabei an deiner Besonnenheit zu scheitern? Welche Farben wähle ich. Doch wer Charlotte Herzigs Werk auf formale und technische Aspekte reduzieren will, wird ihrer Arbeit nicht gerecht. Der spielerische Wechsel von Gegenständlichkeit und Abstraktion erschafft eine Welt mit Raum. Du wirst immerzu verführt zu glauben, dass etwas erkennbar ist und bleibst dennoch im Ungewissen und deiner Fantasie ausgeliefert. Frage mal deinen Nächsten, er meint es besser zu wissen.
Les Ellipses / le Renard
Claudia Comte
Pyrogravur auf Holz
Die von Claudia verwendeten Gravuren erinnern in Form und Wiederholung selbst an brennendes Holz. Die Pyrogravur, zu Deutsch Brandmalerei, taucht seit mehren Jahren immer wieder in ihrem Werk auf, doch das ist nicht ihre einzige Möglichkeit Holz zu bearbeiten. Sie steht auch mit der Motorsäge im Wald und sägt an Baumstrünken rum, die sie zu Skulpturen formt, daneben malt sie hyper-realistische Acrylbilder auf Leinwände und ist mit ihrer Kamera zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort, nämlich wenn der eingefrorene Fuchs sichtbar wird.
V-View
(RBTS - Rubberband tension stick)
Nino Baumgartner
Buchen- und Birkensperrholz, Gummi, Schrauben
Nino erzeugt eine Spannung, die jeden Moment in eine Unordnung zu zerbrechen droht. Die Skulptur beansprucht den Schutz der Laubenbögen der Berner Altstadt, kontrastiert diese durch Farbe, Materialität und Beschaffenheit. Die feste Umgebung besitzt eine statische Beständigkeit, welche V-View mit dem durch Platzmangel erzeugten Druck und Spannung kontrastiert und schärft so dein Blick für die Charakteristika deiner Umgebung.
Trou noir nr. 1
Sebastien Verdon
Fineliner auf Papier
Ein Schwarzes Loch verzerrt Raum und Zeit. Auch für Sebastien Verdon muss Zeit eine sekundäre Rolle gespielt haben, als er diese beispiellose und exakte Arbeit zu Papier brachte. Ähnlich dem Schwarzen Loch besitzt auch dieses Werk einen Mittelpunkt mit erhöhter Gravitation, welchem dein Blick nicht entfliehen kann. Doch du bleibst wo du bist, in der Gegenwart vor die- dem Bild, da wo du sein willst, für alles andere bist du nicht bereit den Preis zu zahlen.
Ohne Titel
Noemi Reisle
Fineliner auf Papier
Jeder einzelne Punkt ist gelebt von Noemi Reisle. Jeder Punkt ist bestimmt vom Vorangehenden und bestimmt den Folgenden. Musterhaft auf den Punkt gebracht, denkst du. Dein Blick fokussiert sich, sucht die Fehler im Muster. Dir entgeht dabei, dass es genau diese Unvollkommenheit ist, welches ein lebendiges Werk schafft, aus einer sonst eintönig grauen Fläche ohne Struktur und Charakter.
Ohne Titel
Roland Nussbaumer
Fineliner auf Papier
Jede Veränderung hat ihren Anfang. Roland Nussbaumer setzte den Ursprung in die Mitte des Werkes und beginnt eine zeichnerische Herausforderung. Durch minutiöses Kreisen schafft er eine eindrückliche Spirale, mit dem Wissen nie mehr an den Anfang zurückkehren. Ein gelebter Moment lässt sich nicht wiedererlegen, ohne dabei ein Rückschritt und die Zerstörung des Werks in Kauf zu nehmen. Die Gefahr nimmt mit dem Umfang der Spirale zu, mit einer Unachtsamkeit alles Erschaffene zu zerstören. Wie weit würdest du kreisen, bis du merkst, dass eine Spirale nie endet?
L‘enfant
Fabian Boschung
Spiegelinstallation
Jedes Kind ist in Spiegel seiner Umgebung und Zeit - zerbrechlich. Schutz bietet einzig die Gnade der Erwachsenwelt, doch nur bis der letzte Kindertraum geplatzt ist. Fabian Boschung zeigt dir die Versuchung Kind zu bleiben und einem gesellschaftlichen, wie persönlichen Anspruch gerecht zu werden. Nicht altern, heisst für ihn so lange wie möglich Fehler zu machen. Du siehst Erwachsenwerden ist keine Pflicht und aber oftmals zeitraubend. Erwachsene werden verneinen.
Fliege unter Glas
Martinka Kremeckova
ohne TextInformation
Information
The exhibition took place from October 16 to November 16, 2009 at the Neue Galerie in Bern, Switzerland.Collaborators
collaborators
AllArtistartistsCuratorcurators